von Sonja Dengler
Der folgende Text soll unsere Hochachtung vor der schwierigen und verantwortungsvollen Tätigkeit der Beraterin zum Ausdruck bringen.
Es bedeutet, Banalitäten zum x‑ten Male zu wiederholen, wenn daran erinnert wird, daß keine Frau gerne zur Abtreibung geht. Daß sie es dennoch – und in so großer Zahl tut – stellt den Inbegriff eines Phänomens dar, das ich mit dem Bild „die Katze Pfeffer fressen lassen“ bezeichnen möchte.
Leicht erliegt man der Versuchung, die Entscheidung im Schwangerschaftskonflikt für oder gegen das Kind auf eine logische Ebene zu transportieren – obwohl es hier nicht um eine logische, sondern um eine rein emotionale Entscheidung geht. (Es gibt im Konflikt ausschließlich logische Gründe gegen und nur emotionale Gründe für das Kind.) Auch das ist eigentlich eine Banalität.
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Beides zu erinnern ist wichtig, um nachfolgend auf die auch durch das Gesetz betonte Schlüsselfunktion der Beraterin einzugehen.
Zur Beraterin kommt eine Frau innerhalb einer extremen Krisensituation. Sie hat, so sagt sie, ihren Entschluß bereits gefaßt. Es ist ein destruktiver Entschluß – denn niemand wird ernsthaft behaupten wollen, die bevorstehende Abtreibung sei ein konstruktiver Akt. Selbstredend ist auch die Frau nicht glücklich darüber. Wer ernsthaft behauptete, sie sei es aber dennoch, würde sie mit einer kaltblütigen Mörderin gleichsetzen. Es mag vielleicht die kaltblütige Mörderin unter den abtreibungswilligen Frauen geben. Dies würde aber die Beraterin vor die Frage stellen: Darf ich einer kaltblütigen Mörderin mit dem Beratungsschein das geeignete Mordwerkzeug in die Hand geben?
Wir beschäftigen uns hier mit jener Frau, deren Lebenskonzept sowohl in der Vergangenheit als auch in der aktuellen Gegenwart dermaßen aus den Fugen geraten ist, daß sie abtreiben will, sprich: Daß die Katze Pfeffer zu fressen bereit ist.
Ich will an dieser Stelle mein Bild erklären: Eine Katze ist ums Platzen nicht bereit, freiwillig Pfeffer zu fressen. Wie der Mensch so ist, hat er sich jedoch eine grausame Methode ausgedacht, im sie genau dazu zu zwingen: Beim Streicheln der Katze reibt man ihr gleichzeitig gemahlenen Pfeffer ins Fell – zunächst geschieht nichts. Nach einer Weile führt der eingeriebene Pfeffer zu unerträglichen Qualen. Die Katze weiß sich nicht anders zu helfen, als daß sie beginnt, den Pfeffer mit der Zunge aus dem Fell zu lecken – trotz laufender Tränen, trotz Schmerzen in Mund, Kehle, Speiseröhre etc. Sie muß immer weitermachen. Die Qual endet dadurch natürlich nicht – im Gegenteil.
In die Beratungssituation übertragen heißt dies, daß die Schwangere mit real existierenden Nöten dermaßen allein gelassen ist, daß ihr die Abtreibung ihres Kindes als das kleinere Übel erscheint. Das Lecken des Pfeffers entspricht dem Abtreibungsangebot, verbunden mit der Illusion, den vorherigen Zustand des „Nicht-mehr-schwanger-seins“ wiederherzustellen. In ihrer Qual übersieht sie dabei, daß „nicht mehr schwanger sein“ nicht dasselbe ist wie „nicht schwanger sein“. Zur Abtreibung ist jetzt nur noch der Beistand bzw. die Unterschrift der Beraterin erforderlich – gewissermaßen als gesetzliche Bestätigung für die Richtigkeit des Vorhabens – und genau diese vom Gesetzgeber im Beratungsgespräch erzwungene Handlung entspricht (um im Bild zu sprechen) dem Einreiben des Pfeffers in das Fell der Katze.
Dies lenkt unseren Blick auf die Beraterin: Sie sieht die vor ihr Sitzende zum ersten Mal, noch dazu in einer äußerst extremen Krisen- und Lebenssituation. In der derzeitigen gesetzlichen Lage kann sich die Beraterin dabei buchstäblich auf NICHTS stützen – nämlich auf nichts als ein Blatt Papier. Betrachten wir diese Situation der Beraterin – wie unser letzter Bundeskanzler sagt „ohne ideologische Scheuklappen“ – so ist eine solche Ausgangsbasis angesichts der vorliegenden Dramatik für die Beraterin eine Zumutung!
Dem Gesetzgeber ist es jedenfalls gelungen, dem Beratungsgespräch sowohl de facto als auch de jure die Schlüsselfunktion über die Entscheidung Leben versus Tod zuzuschieben. Da eine solche Verantwortung aber nur personaler Natur sein kann, lastet somit im konkreten Einzelfall die gesamte Verantwortung für den Ausgang dieser Krise auf den Schultern der Beraterin. Eine bis dahin völlig fremde und unbeteiligte dritte Person wird in den Konflikt hineingezogen, um auf ein destruktives Ergebnis zuzusteuern. Auf die Beraterin als derjenigen, die sich nicht in einer Lebenskrise oder einer Ausnahmesituation befindet, kommt damit de facto eine Funktion zu, die mit dem Allerweltsbegriff „Beraterin“ höchst unzureichend beschrieben wird. Vom Schwierigkeitsgrad her ist sie m.E. am ehesten noch mit der Funktion des in früheren Zeiten so genannten Weisen vergleichbar.
Aufgabe eines Weisen ist aber niemals, mittels Beratungsschein Unlösbares zu bestätigen, geschweige denn gar verbal Leben tatsächlich zu verwerfen. Die Uraufgabe des Weisen ist: Zu ordnen, Frieden zu stiften, Versöhnung zu schaffen. Deshalb – und nur deshalb – sucht man den Weisen ja auf! Als Weise tätig zu sein ist übrigens unbestritten kein Beruf, sondern Berufung.
Nun beweist der Beraterin, als der Weisen, die vor ihr sitzende schwangere Frau durch ihre schlichte Präsenz, daß innerhalb ihres Lebens nichts mehr in Ordnung ist: Denn ebensowenig wie eine Katze bereit ist, freiwillig Pfeffer zu fressen, hat sie sich jemals Abtreibung als natürlicherweise gesetzte Lebensetappe vorgenommen. Damit steht die Beraterin in der angetragenen Rolle als Weise vor einer Aufgabe, wie sie hochkomplizierter und komplexer nicht sein könnte: Nämlich eine offensichtlich zerbrochene zwischenmenschliche Beziehung so neu zu ordnen, daß ein konstruktives Ergebnis die Folge ist, und am Ende eine gleichberechtigte Frau die Beratungsstelle verläßt, die keine Leiche im Keller hat – dafür den nächsten Termin zum Gespräch in der Tasche.
Hier ist ein Höchstmaß an Konzentration, an Kreativität, an Lebensweisheit, an Lebensfreude, an konstruktivem Lösungswillen gefragt, das bislang in Gesellschaft und Politik weder erkannt, noch entsprechend honoriert wird. Die Beraterin muß sich immer wieder vergegenwärtigen, daß sie im Schwangerschaftskonflikt eben nicht im Sinne einer bloßen Papierunterzeichnerin mit Kopfgeld-Honorierung für den Staat oder für wen auch immer tätig ist – sondern als oben erwähnte Weise. Mit anderen Worten: Vor jeder Beratung, vor jeder neuen Frau, muß sie sich zunächst darüber klar werden, welche Philosophie sie verbal und nonverbal in dieser von ihr zu ordnenden Dramatik vertritt.
Sie muß sich zuerst entscheiden zwischen der Philosophie der Niederlage (Abtreibung führt immer eine Niederlage) oder der Philosophie des kreativen Neuanfangs.
Die Philosophie des Nichts legitimiert und speist sich aus lauter Abhängigkeiten: Vom jeweiligen Arbeitgeber, von der jeweiligen Regierung, von der jeweiligen Ideologie und so weiter und so fort… Noch deutlicher wird die Abhängigkeit in der Kosten-Nutzen-Frage oder den pragmatisch-theoretischen Überlegungen: „Was ist machbar, und was ist nicht machbar?“
Die Philosophie des kreativen Neuanfangs dagegen bewirkt eine diskrete und wirkungsvolle Beratungsarbeit, die sowohl dem vorliegenden Ausnahmezustand als auch der Weisen-Funktion der Beraterin gerecht wird und in deren Verlauf sich natürlicherweise mehrere bzw. viele Gespräche mit den Betroffenen ergeben.
Diese Art, dem Schwangerschaftskonflikt zu begegnen, bedeutet zweifellos, eines der heißesten Eisen unserer Zeit anzufassen. (Frauenfragen, noch dazu teure, waren und sind immer unbeliebt!) Das heiße Eisen anfassen erfordert auch, sich permanent mit gesellschaftlich brisanten Fragen auseinanderzusetzen und Antworten zu finden: Wie steht es mit der Handelsware Frau? Wie steht es mit der Handelsware Kind? Wie steht es mit dem Krieg zwischen Mann und Frau?
Eine solche Art von Frauenarbeit entspricht zunächst selbstverständlich noch nicht der political correctness, und sie paßt schon gar nicht in die nun bereits Jahrzehnte dauernden Versuche, das leidige Thema Abtreibung möglichst billig und schnell unter Kontrolle zu bringen (Sind ja nur Frauen …! – Wie man eben mit Handelsware so umzugehen pflegt.)
Die Beraterin, die an der vordersten und ungeliebtesten Front kämpft, sie alleine entscheidet darüber, ob sie die ihr gesetzlich hingeschobene Berater-Funktion akzeptiert oder sich selbstbewußt so definiert, wie sie de facto von den Betroffenen angefragt ist: Als Weise.
Die Arbeit eines Weisen zu tun heißt: Vorgetrampelte und vorgegebene Wege zu verlassen; heißt: Eine jeweils ganz neue, individuelle Lösungsstrategie zu entwickeln, sie vorsichtig mit den Schwangeren auf Richtigkeit zu überprüfen und Solidarität mit jenen zu üben, die unsere Solidarität jetzt und ganz persönlich brauchen. Die Arbeit eines Weisen zu tun heißt auch, sich gegen die Degradierung zur schlichten Papierunterzeichnerin aktiv zur Wehr zu setzen ‑und zwar weil sie konstruktive Lösungen und kreative Neuanfänge schafft und dazu in der Lage ist. Das kostet. Nicht nur Geld!
Am Punkt Geld zeigt sich übrigens eine weitere Aufgabe der Weisen in einer ganz anderen Richtung: Sich an alle einflußreichen Gesellschaftsschichten zu wenden und zu verlangen, die Abtreibungsfrage endlich anders als bisher anzugehen. Angefragt sind die Arbeitgeber, die Vorgesetzten, der Gesetzgeber, die Politiker… Die Abtreibungsfrage so anzugehen, wie es der Sache angemessen ist und Alternativen so zu finanzieren, daß auch teure Lösungen und entsprechend tätige (d. h. sozial engagierte) ordnende, hochqualifizierte, teure Weise möglich sind. Das wird einen Aufschrei der Empörung hervorrufen. Aber die Beraterin, die an die Front „Frau gegen Frau“ geschickt wurde und wird, um sich den zweifelhaften Ruhm des (wir durften diesen Ausdruck oft genug in den Zeitungen lesen) „Hände-schmutzig-machens“ zu erwerben, sie ist die einzige, die Entsprechendes aus ihrer Berufspraxis heraus glaubwürdig verlangen kann.
Es hilft nichts: Die Beraterinnen müssen sich entscheiden! Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß sie für eine Weile nichts oder alles in der Hand haben: Die Katze weiter Pfeffer fressen lassen – oder…
Die Autorin ist Beraterin und Gründerin der Birke.