(JF) Der Vatikansprecher Federico Lombardi erklärte am Sonntag, daß der Rücktritt von Stanislaw Wielgus eine „angemessene Lösung“ ist. „Der Verzicht auf den Stuhl von Warschau und dessen schnelle Annahme seitens des Heiligen Vaters scheint die angemessene Lösung zu sein, um auf die Desorientierung zu reagieren, die in der Nation um sich gegriffen hat“, schrieb Lombardi in einer Mitteilung an Radio Vatikan. Wielgus habe sein Ansehen schwer beschädigt. Deshalb sei die Entscheidung zum Rücktritt angebracht, „trotz seiner demütigen und bewegenden Bitte um Vergebung“. Der Fall Wielgus sei nicht der erste und wahrscheinlich nicht der letzte, in dem Persönlichkeiten der Kirche auf Grundlage der Geheimdienstunterlagen des früheren Regimes angeklagt werden, schrieb Lombardi.
Wielgus hatte am Sonntag kurz vor seiner Amtseinführung seinen Rücktritt bekanntgegeben. Nach „tiefem Nachdenken und Einschätzung meiner persönlichen Lage“ habe er sein Amt „in die Hände des Heiligen Vaters gelegt“. Vor der Messe hatte die päpstliche Nuntiatur bereits mitgeteilt, Papst Benedikt XVI. habe den Rücktritt des 67jährigen angenommen. Nach der Rücktrittserklärung brachen in der Warschauer Kathedrale Tumulte aus. Einige Gläubige protestierten mit lauten Geschrei und riefen „Bleib bei uns“.
Erst am Freitag räumte Wielgus nach anfänglichen Leugnungen seine Mitarbeit mit dem polnischen Geheimdienst wärend der kommunistischen Zeit ein. Er habe aber weder über andere berichtet noch absichtlich jemandem schaden wollen. Medien berichteten hingegen, Wielgus habe den Geheimdienst seit den späten sechziger Jahren zwanzig Jahre lang über andere Geistliche informiert.
„Mit dieser Verstrickung habe ich der Kirche geschadet“, erklärte der Geistliche. „Ich habe der Kirche in den vergangenen Tagen noch einmal geschadet, als ich inmitten einer heißen Medienkampagne die Tatsache dieser Zusammenarbeit geleugnet habe.“ Offiziell hatte Wielgus dennoch am Freitag sein neues Amt angetreten.
Hunderte Gläubige versammelten sich nach Wielgus‘ Rücktritt vor der Warschauer Kathedrale, um für die Zukunft der katholischen Kirche in Polen zu beten. Diese hatte zuvor erklärt, es lägen ausreichende Beweise vor, daß Wielgus in der kommunistischen Ära als williger Informant diente. Kommentatoren sprachen von dem größten Skandal innerhalb der polnischen Kirche seit dem Ende der Sowjetunion.
Dokumentation: Erzbischof Wielgus über seine Kontakte zur polnischen Stasi
In einer Erklärung mit dem Titel „Mein Opfer, Gott, ist ein zerknirschter Geist“, die er am Vorabend der für Sonntag urspünglich geplanten Amtseinführung abgegeben hatte, erläutert Wielgus seine Kontakte zum kommunistischen Geheimdienst. Wir dokumentieren die Erklärung.
Komm, Heiliger Geist,
Du starkes Licht des Gewissens
Und zeige uns den Weg
Liebe Mitbrüder im Priesteramt,
Liebe Brüder und Schwestern der ganzen Gemeinde der Kirche von Warschau!
Ich trete heute vor die Schwelle der Warschauer Kathedrale mit einer schweren Belastung des Gewissens, die in den letzten Tagen nicht nur für mich, sondern auch für Euch zu einer großen Prüfung geworden ist.
Der Heilige Vater, Benedikt XVI., hat mich als Oberhaupt der Warschauer Erzdiözese zu Euch geschickt. Aus gesundheitlichen Gründen wollte ich dieser Ernennung ausweichen. Ich habe dem Heiligen Vater und den entsprechenden Vatikanischen Behörden auch meinen Lebensweg geschildert, einschließlich des Teils meiner Vergangenheit, die meine Verstrickung bei den Kontakten mit den damaligen Sicherheitsbehörden betrifft, die in einem der Kirche feindlich gesinnten Staat unter totalitären Bedingungen aktiv waren. Ich hatte seinerzeit den Wunsch, für mich wichtige wissenschaftliche Studien zu absolvieren und geriet in diese Verstrickung ohne die erforderliche Umsicht, Courage und Entschlossenheit zur Aufgabe dieser Kontakte walten zu lassen. Ich gestehe heute vor Euch diesen vor Jahren begangenen Fehler ein, so wie ich es zuvor schon gegenüber dem Heiligen Vater getan habe.
Die in den letzten Tagen in den Medien umfassend veröffentlichten Berichte der damaligen politischen Polizei, die sich im Institut für das Nationale Gedenken befinden und über die mich die Historische Kommission der Bischofskonferenz in Kenntnis gesetzt hat, handeln überwiegend davon, was man von mir erwartete oder mir nahe legte. Sie handeln nicht davon, inwieweit ich diesen Forderungen nachgekommen bin. Sie weisen aber darauf hin, dass ich mich bemüht habe, die an mich gestellten Erwartungen nicht zu erfüllen. Es wird Aufgabe der Historiker sein, dies näher zu klären. Zu einigen Fragen habe ich in der Presseerklärung vom 5. Januar bereits Stellung genommen. Ich weiß nicht, ob die mir von der Historischen Kommission vorgelegten Dokumente die einzigen sind, oder ob noch weitere auftauchen werden. Ich stelle aber heute mit voller Überzeugung fest, dass ich niemanden denunziert habe und bemüht war, niemandem Unrecht zu tun.
Doch allein schon durch die Tatsache dieser Verstrickung habe ich der Kirche Unrecht getan.
Und ich habe der Kirche erneut in den letzten Tagen während der hitzigen Medienkampagne Unrecht getan, als ich die Tatsache dieser Zusammenarbeit geleugnet habe. Das hat die Glaubwürdigkeit von Äußerungen von Kirchenvertretern belastet, wozu auch Bischöfe zählen, die sich mit mir solidarisch erklärt haben. Brüder und Schwestern, ich bin mir dessen bewusst, das diese Unwahrheit für viele von Euch eine nicht minder schmerzliche Tatsache darstellt, als die damalige Verstrickung vor vielen Jahren.
In den letzten für mich äußerst schweren Tagen habe ich zur Göttlichen Barmherzigkeit gebetet und auf Euren Glauben an diese Barmherzigkeit, liebe Brüder und Schwestern in Christus, gehofft. Auch heute tue ich dies erneut mit den Worten des Psalmisten, der die Bitte eines Büßers wie folgt ausdrückt:
„Gott sei mir gnädig nach deiner Huld,
tilge meine Frevel nach deinem reichen Erbarmen,
Wasche meine Schuld von mir ab,
und mach mich rein von meiner Sünde.
Herr, öffne meine Lippen,
und mein Mund wird deinen Ruhm verkünden,
Schlachtopfer willst du nicht, ich würde sie dir geben,
An Brandopfern hast du kein Gefallen.
Mein Opfer, Gott, ist ein zerknirschter Geist,
ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verschmähen“
(Psalm 51)
Brüder und Schwestern.
So komme ich denn zu Euch mit einem doppelten Gefühl. Mit Freude über meine Berufung zum bischöflichen Dienst in der Hauptstadt Warschau, im Bewusstsein der Aufgaben, die vor der Seelsorge einer großen Erzdiözese stehen, mit großer Zuneigung für das geistige und kulturelle Potential Warschaus und seiner Ausstrahlung auf ganz Polen.
Ich komme aber auch zu Euch im Bewusstsein des Schattens, der auf meine Amtseinführung fällt, durch die ich meinen Dienst in der Erzdiözese Warschau beginne.
Wenn Ihr mich aufnehmt, worum ich Euch demutsvoll bitte, will ich als Bruder unter Euch sein, der einen und nicht trenne möchte, der beten und die Menschen in der Kirche vereinen will, in der Kirche der Heiligen und der Sünder, die wir alle bilden.
Die sowohl für mich als auch für Euch zurückliegenden schweren Tage empfinde ich als Verpflichtung, die Kirche von Warschau durch meinen Dienst mit besonderem Wohlwollen zu umgeben und Verständnis aufzubringen für verirrte Menschen, die von der Institution Kirche enttäuscht wurden und Bitternis wegen menschlicher Unzulänglichkeiten empfinden.
Gegenüber dem Heiligen Vater erkläre ich voll Demut, dass ich mich jeder seiner Entscheidungen unterwerfen werde.
Ich bitte die Gottesmutter um ihre Obhut und alle Gläubigen um die Erleuchtung des Heiligen Geistes für die Zeit des schwierigen Beginns meines Hirtendienstes mitten unter Euch.
Warschau, den 6. Januar 2007
+ Stanisław Wielgus
Erzbischof Metropolit von Warschau
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Quelle: Radio Vatikan