von P. Matthias Gaudron
Nicht wenige Priester lassen heute die Feier der Messe an Werktagen des öfteren ausfallen. Dieser Umstand war für Prof. Georg May der Anlaß, in seiner neuesten Studie die Frage zu untersuchen, inwieweit der Priester und insbesondere der Pfarrer, also der verantwortliche Seelsorger einer Pfarrei, zur täglichen Zelebration verpflichtet ist. Er beschränkt sich dabei auf die Zeit seit dem Konzil von Trient. In vier Kapiteln untersucht er die Zeit vom Konzil von Trient bis zum CIC von 1917, die Zeit vom CIC/1917 bis zum 2. Vatikanischen Konzil, das 2. Vatikanische Konzil und seine Folgen und schließlich die Rechtslage und Praxis der Gegenwart.
Das Konzil von Trient begnügte sich mit der Erklärung, die Bischöfe hätten dafür zu sorgen, daß alle Priester wenigstens an den Sonn- und Feiertagen die hl. Messe zelebrierten und die Seelsorger so häufig, daß sie ihrem Amt genügten. Es stellt sich hier natürlich die Frage, was das konkret bedeutet. Da die Gläubigen nicht nur an den Sonn- und Feiertagen sondern täglich eingeladen sind, die hl. Messe zu besuchen, kann man darin wenigstens einschlußweise den Willen des Tridentinums ausgesprochen sehen, daß die Pfarrer ihren Gläubigen auch täglich die Gelegenheit zur Messe bieten. Darauf deutet auch die Forderung des Konzils hin, die Seminaristen sollten täglich die Messe besuchen. Was sie im Seminar lernen, soll zweifellos seine Fortsetzung nach der Priesterweihe finden.
Anschließend untersucht Prof. May akribisch, was die Kanonisten, Liturgiker und Pastoraltheologen der Folgezeit über die Zelebrationspflicht der Priester und besonders der Pfarrer sagten, was die Rechtsquellen festlegten und wie die Praxis aussah. Dabei stellt sich heraus, daß die tägliche Zelebration der Messe sich erst im 19. Jahrhundert in der Kirche völlig durchsetzte und als Selbstverständlichkeit angesehen wurde. Die Gründe dafür werden sehr schön von dem Pastoraltheologen Joseph Amberger angegeben: „Es kann aber kaum einem Zweifel unterworfen sein, daß das Amt des Seelsorgers die tägliche Feier der Messe verlange; nicht nur muß die Gemeinde täglich Gelegenheit haben, dem Gottesdienste beizuwohnen, sondern es soll auch Tag für Tag die Gemeinde dem Herrn geopfert werden, es soll Tag für Tag der Herr mit seinen Heiligen gnaden- und segenvoll sich herablassen, es soll das kirchliche Jahr in seinem ganzen Umfange sich vollziehen. Ja, wer erkennt und erwägt, was es um die Seelsorge sei, der dankt mit Frohlocken der heiligen Kirche für die unschätzbare Gnade der täglichen Meßfeiern, durch die allein es ihm möglich wird, sein Amt mit Segen zu verwalten“ (S. 18). Auch in den unter Pius X. erlassenen Kommuniondekreten wird die tägliche Kommunion den Gläubigen empfohlen, was ja normalerweise auch die tägliche Zelebration der Messe durch den Pfarrer zur Voraussetzung hat.
Das kirchliche Rechtsbuch von 1917 sprach im can. 805 nur allgemein von der Pflicht der Priester, mehrmals im Jahr zu zelebrieren und forderte die Bischöfe und Ordensoberen auf, dafür zu sorgen, daß dies wenigstens an den Sonn- und gebotenen Feiertagen geschehe. Der Kodex verpflichtete zudem die Pfarrer, den Gläubigen, die rechtmäßig darum bitten, die Sakramente zu spenden, woraus man eine Pflicht der Pfarrer ableiten könnte, wenigstens dann die Messe zu feiern, wenn Gläubige eine Messe wünschen. Von einer ausdrücklichen Pflicht zur täglichen Meßzelebration sprechen jedoch weder der Kodex noch die Autoren, die diesen in der Folge auslegen. Da diese jedoch damals längst zur Selbstverständlichkeit geworden war, und ein Priester, der nicht täglich zelebrierte, Skandal erregte, ist Prof. May der Meinung, daß die tägliche Zelebration kraft des Gewohnheitsrechts rechtlich verpflichtend geworden sei.
In der Zeit nach dem II. Vatikanum gingen freilich viele Priester dazu über, die Messe an Werktagen nur noch zu lesen, wenn eine ansehnliche Zahl von Gläubigen zu erwarten war. Auch die neu eingeführte Praxis der Konzelebration führte zu einer Verminderung der Messen. Interessanterweise gibt es gerade in der Nachkonzilszeit mehrere Aufforderungen von seiten des Lehramts an die Priester, die Messe täglich zu zelebrieren. Paul VI. und vor allem Johannes Paul II. forderten die Priester öfters zur täglichen Zelebration auf, was freilich dadurch veranlaßt war, daß viele Priester eben nicht mehr täglich zelebrierten. Viele Theologen sprachen sich allerdings gegen die tägliche Zelebration aus, allen voran Karl Rahner in seinem Buch Die vielen Messen und das eine Opfer. Ausführlich setzt sich Prof. May mit pseudofrommen Argumenten auseinander, wie der Priester könne die Messe besser und würdiger zelebrieren, wenn er sie hin und wieder auslasse.
Das neue Kirchenrecht von 1983 fordert alle Priester im Can. 904 auf, häufig (frequenter) zu zelebrieren, was mehr ist, als das „mehrmals im Jahr“ des alten Kirchenrechts. Der Kanon empfiehlt zudem eindringlich die tägliche Zelebration, ohne allerdings eine rechtliche Verpflichtung dazu aufzuerlegen. Auch Can. 276 § 2 n. 2 lädt die Priester zur täglichen Zelebration ein. Einige Kommentatoren des neuen CIC schreiben gerade auch dem Pfarrer die Pflicht zu, möglichst täglich die Messe zu feiern.
Der Wert der Studie liegt vor allem darin, einen sehr ausführlichen Überblick über die Häufigkeit der Meßfeier in den letzten Jahrhunderten zu geben und die tiefen Beweggründe für die tägliche Meßzelebration darzulegen, und zwar sowohl für das persönliche Leben des Priesters als auch für die Seelsorge und das Wohl der ganzen Kirche.
Georg May, Die Pflicht des Pfarrers zur täglichen Zelebration der Messe. Editiones UNA VOCE 2006. Köln 2006, 96 S., 5,90 Eur. ISBN-10: 3–926377-31–9