von Bernhard Gappmaier
Amnesty International setzt sich mit rechtlichen Mitteln, mit Aktionen und Interventionen weltweit für Menschen ein, welche vornehmlich aus politischen Gründen gefangengehalten und in ihrer Freiheit bedroht werden.
In den letzten Jahrzehnten ist damit AI im Bewußtsein der Weltöffentlichkeit zum Inbegriff einer Organisation geworden, welche gleichsam als moralischer Seismograph die Verletzung der allgemeinen Menschenrechte vorzüglich in diktatorischen Staaten aufzeigt. Und unzählige Gefangene verdanken wohl auch dem konkreten Einsatz dieser Menschenrechtsorganisation ihre Befreiung, ihr Überleben.
Nun hat die internationale Ratstagung der Vereinigung im August 2005 mit etwa 400 Delegierten aus 74 Ländervertretungen einen Prozeß in Gang gesetzt, der die Glaubwürdigkeit von AI in dessen Fundamenten in Frage zu stellen droht.
Mit einem internen, betont demokratischen Konsultationsverfahren diskutiert Amnesty International seitdem ein sogenanntes Menschenrecht auf Abtreibung!
Dabei hatte sich die Organisation bis dahin aus den Debatten um die Abtreibung herausgehalten und sich offiziell ohne Meinung erklärt. Im Rahmen der Kampagne Stoppt Gewalt gegen Frauen beschloß AI jedoch, die neutrale Position aufzugeben und die Arbeit zu „sexuellen und reproduktiven Rechten vorsichtig zu stärken“.
Ein Interview von zwei Redakteuren der Weltwoche mit der Generalsekretärin der Menschrechtsorganisation, Irene Khan, verdeutlicht unmißverständlich das angestrebte Ziel. Als erste Frau an der Spitze von AI hebt sie einleitend als ihren größten Erfolg hervor, daß sie namentlich die Menschenrechte der Frauen unter anderem neu auf die politische Tagesordnung gesetzt habe. Man habe gezeigt, daß die Rechte der Frauen überall bedroht sind.
Zur redaktionellen Feststellung, daß sie neuerdings sogar Abtreibung als Menschenrecht definieren wolle, führt Frau Khan dann an, daß es viele Beispiele gibt, die zeigen, daß das Recht auf Abtreibung ein wichtiges Thema ist. „Vor zwei Jahren war ich in Darfur. Dort erlebte ich den bewegenden Fall eines 15-jährigen Mädchens, das von einem Milizionär vergewaltigt worden war. Das Mädchen hatte Angst, daßes deswegen von seiner Familie ausgestoßen würde. In Ostkongo hat Amnesty Tausende von solchen Fällen dokumentiert. Viele der Betroffenen leiden an allen möglichen Geschlechtskrankheiten, viele sind schwanger“.
Dazu wird von der Weltwoche im Interview festgehalten, daß nirgends in der Charta der Menschenrechte von 1948 das „Recht zum Töten“ verankert ist. Warum wolle Amnesty dies nun plötzlich ändern?
Die Antwort der Generalsekretärin und der weitere Gesprächsverlauf zu diesem Thema als Originalzitat:
Noch nichts ist entschieden. Es geht darum, daß Frauen, die eine Abtreibung machen lassen wollen, dafür nicht ins Gefängnis müssen. Wir debattieren darüber, ob wir Gesundheitsdienste leisten wollen für Frauen, die eine Abtreibung machen möchten, jedoch finanziell oder logistisch nicht dazu in der Lage sind, die vergewaltigt wurden oder ein Opfer von Inzest waren. Wir beraten, ob wir für diese drei Fälle ein Recht auf Abtreibung gut heißen sollen.
Falls die Sektionen das Recht auf Abtreibung gutheißen, wird Anmesty, die sich jahrzehntelang darauf konzentrierte, Leben zu retten, zur Anwältin des „Rechts zum Töten“.
Ich glaube, es wäre falsch, das so zu sagen. Gemäß Menschenrechtsgesetzgebung gibt es kein Recht auf Leben für einen Fötus. Das ist auch die Position des Europarates, des Schweizer Gesetzes und der Regelwerke anderer Länder. Es gibt also einen internationalen Konsens in dieser Frage.
Katholiken und Religiöse, unter ihnen viele Amnesty-Mitglieder, sind irritiert über diese Diskussion. Sollte Amnesty das „Recht zum Töten“ deklarieren, würden viele Mitglieder Ihrer Organisation den Rücken kehren.
Deswegen gibt es eine intensive Debatte darüber. Jedes Mal, wenn wir unser Aktionsfeld ausgeweitet haben? zum Beispiel vor dem Kampf für die Abschaffung der Todesstrafe – , war dies von unseren Mitgliedern durch Konsultationen beschlossen worden.
Wie demokratisch ist Amnesty?
Wir sind extrem demokratisch. Unsere Entscheidungsörperschaft ist der Internationale Rat. Er trifft sich alle zwei Jahre. Er hat 500 Delegierte aus 74 Sektionen.
Sind die Delegierten alle demokratisch gewählt?
Die Delegierten werden von ihren nationalen Sektionen gewählt. Vergangenes Jahr haben sie den Entscheid gefällt, daß die Bewegung Konsultationen über die Abtreibungsfrage durchführen soll. Sie sehen, es ist ein hochkonsultativer Prozeß.
Die Strategie erscheint aus den Legalisierungskampagnen für die Abtreibung in westlichen Ländern bereits bestens bekannt. Es wird auf beeindruckende Vergewaltigungs- und Inzestbeispiele zurückgegriffen und auch die soziale Indikation der Vollständigkeit wegen gleich mit aufgezählt.
Auch von AI wird dem „sozial engineering“ ein „verbal engineering“ vorangesetzt. „Stop Violence against woman“? Stoppt Gewalt gegen Frauen! So umschreibt AI die eigene Kampagne für ihr Verständnis von Frauenrechten. Jeder würde dieses Anliegen gutheißen.
Die Menschenrechtsorganisation macht sich damit jedoch stark „für die sexuellen und reproduktiven Rechte der Frauen“. Mit dieser Sprachregelung ist nichts anderes als das Recht der Frau gemeint, ihre Sexualität „frei und ohne Zwang“ regeln zu dürfen. Dazu gehört auch das Recht, zu entscheiden, ob, wann und wie viele eigene Kinder sie haben möchte.
Selbstverständlich inkludiert die praktische Umsetzung dieses Zieles für die Frauen auf der ganzen Welt auch die freie Wahl von Verhütungsmitteln, deren ungehinderte Zugänglichkeit und eben auch das vermeintliche allgemeine Menschenrecht, im Falle unerwünschter Schwangerschaften die ungewollten Kinder klinisch sicher abtreiben zu können!
Abtreibungen als allgemein anzuerkennende Methode zur Geburtenregelung sind bekanntlich schon bei mehreren Weltbevölkerungskonferenzen, zuletzt in Peking und in Kairo durch diverse internationale Organisationen gefordert worden.
Die Gewalt richtet sich gegen die noch ungeborenen Kinder selbst. Dem Schutzbedürfnis der Schwächsten und Wehrlosesten würde nun auch noch von einem internationalen Verein, der sich über 40 Jahre hindurch das Vertrauen der Öffentlichkeit damit erworben hat, Anwalt der Wehrlosen zu sein, das willkürlich höher gestellte Gut der Freiheit der Frau vorgezogen, sich gegen das eigene Kind zu wenden. Das Grundrecht der Unantastbarkeit des Lebens des Kindes im Mutterleib wird dem Tötungsrecht durch Erwachsene geopfert! Und diese Gewaltanwendung wird schließlich auch noch von einer Menschenrechtsorganisation als ein zu forderndes Menschenrecht deklariert. Bezeichnenderweise maßt sich die Generalsekretärin der Bewegung die Aussage an, daß es kein Recht auf Leben für einen Fötus gebe!
Ende der Diskussion!
Müßig, dazu noch zu vermerken, daß sich nach Abtreibungen am Ende die Gewalt auch gegen die betroffenen Frauen selbst richtet, will man davon absehen, daß auch ein noch so „klinisch sauberer Eingriff“ neben der Tötung des ungeborenen Kindes bereits an sich eine gewaltsame Verletzung der Integrität der schwangeren Mutter ist. (siehe dazu Manfred M. Müller; Mehr Licht; die Heilung der Abtreibungswunden)
Auch sind die angeführten Unrechtspositionen verschiedener westlicher Staaten und ein angeblicher internationaler Konsensus in diesem fast weltweiten Tötungsskandal von etwa 50 Millionen ungeborenen Kindern jährlich kein Argument dafür, damit als AI die eigene Unterstützung dieses Unrechts zu rechtfertigen.
Was bzw. wer hat diesen radikalen Kurswechsel von Amnesty International im Verlaufe seines 40-jährigen Bestandes herbeigeführt? Wie ist es möglich, daß eine Menschenrechtsorganisation wie AI am Ende das Gegenteil dessen fordert, wozu sie sich eigentlich verpflichtet weiß? Anstatt die Menschenrechte kompromisslos zu schützen und sie zu verteidigen, ist die Bewegung im Begriffe, diese selbst an den Schutzbedürftigsten in tödlicher Weise zu verraten!
Nach ärztlichem Urteil ist die diagnostizierte Geisteshaltung schizophren. Daß bei der Vollstreckung weltweit auch Ärzte ihre Heilberufung verraten, ist nebenbei für sich eine tragische Geschichte!
Eine Recherche zu diesem unfaßbaren Skandal von AI im weltweiten Informationsnetz läßt schlußendlich mögliche Hintergründe fàƒür die ideologische Neupositionierung erahnen: Mitglieder einschlägig bekannter Weltbevölkerungskontrollorganisationen wie der International Planned Parenthood Federation oder Marie Stopes International begleiten und unterstützen den nunmehr bis zur „demokratischen“ Beschlußfassung bei der internationalen Ratstagung 2007 laufenden Konsultationsdiskurs zu diesem Thema in einzelnen Ländersektionen. AI hat sich also in ein Netzwerk von Organisationen eingebunden, die in ihrem weltweiten Kampf um das Recht auf „reproduktive Gesundheit“ jedenfalls schon eine jahrzehntelange Erfahrung aufweisen können.
Daß man dann auch noch auf ein Amnesty International Lesbian, Gay, Bisexuel & Transgender Network stößt, nimmt im Gesamtzusammenhang nicht einmal mehr Wunder.
Die weltweite Organisation hat alleine mit ihrem aktuellen Diskurs zur Durchsetzung eines sogenannten Menschenrechts auf Abtreibung ihren Auftrag ins Gegenteil verkehrt.
Mit Weihbischof Andreas Laun fehlt laizistischen Menschenrechten die letzte Begründung wie Schutzmauern, die man auf Sand und Erde baut. Kein Wunder, wenn sie am Tag der Katastrophe nicht halten? (Andreas Laun in kath.net; vom 10. Juli 2006; Der Fall (von) Amnesty International).
Mitglieder von AI, welche unter anderen als Christen eine solche ideologische Entwicklung nicht weiter mit unterstützen können, werden eine Alternative für ihr persönliches Engagement und ihre Spendenbereitschaft suchen müssen.
Dr. Bernhard Gappmaier ist niedergelassener Arzt und Vorsitzender der Europäschen Ärzteaktion e.V.
Siehe auch: „War das gut?“ – Das Weltwoche-Gespräch mit Frau Irene Khan AI-Generalsekretärin